Von Menschen und Bäumen

Von Menschen und Bäumen

Donnerstag, 7. Mai 2020

Die verschwundene Grenze 3/3

Am Morgen des 3. Tages ging es mit der S-Bahn wieder nach Teltow zurück.
Am Bahnhof Friedrichstraße mussten wir umsteigen. Hier befand sich zu DDR-Zeiten ein Grenzübergang. Er hatte eine große Abfertigungshalle, die im Volksmund Tränenpalast genannt wurde. Heute befindet sich dort eine interessante Ausstellung zur deutschen Teilung.


Wer dort die Abfertigung und Zollkontrolle passiert hatte, betrat den Teil des Bahnhofes, der im Westteil lag und konnte von dort aus mit der S-Bahn ins westberliner Gebiet weiterreisen. Dieser Teil des Bahnhofes war für die Benutzer der ostberliner S-Bahn nicht einsehbar und ich war nach der Grenzöffnung sehr überrascht, wie groß dieser Bahnhof ist. Um nach Teltow zu kommen, mussten wir den unterirdischen Bahnsteig benutzen, von deren Existenz  ich bis 1990 nichts wusste. 
In Teltow fuhren wir am Teltowkanal entlang und erreichten bald eine wunderbare Kirschblütenallee.



Ein japanischer Fernsehsender sammelte bei seinen Zuschauern mehr als eine Million Euro an Spenden um an Orten der ehemaligen Grenze Kirschbäume zu pflanzen.
Dass in 9000 km Entfernung Menschen von unserer Grenzöffnung so begeistert waren, dass sie soviel Geld für ein blühendes Geschenk sammelten, berührt mich sehr. Als ich nach der Tour dazu recherchiert habe, erfuhr ich, dass auch in "meinen" Gärten der Welt Kirschbäume aus dieser Aktion stehen.

Unser Weg führte uns weiter durch die Frühlingslandschaft. Wir fuhren durch kleine Wäldchen und über den ehemaligen Postenweg, manchmal mit Blick auf die Stadt.


Bei Großziethen sieht man, wie dicht die Mauer  an der Stadt entlanglief. Die Hochhäuser gehören zur Gropiusstadt, einer Großraumsiedlung im damaligen Westberlin. In Großziethen gab es von 1973-1977 ein "Loch" in der Grenze. Dort passierte die westberliner Müllabfuhr die Grenze, um in Großziethen Müll abzukippen. Westberlin war ja faktisch eine Insel und musste seinen Müll loswerden und die DDR brauchte Devisen.


Etwas später passierten wir einen ehemaligen Grenzübergang, deren Existenz mir nie bewusst war. In Schönefeld konnten Westberliner, die zum Flughafen Schönefeld wollten, die Grenze passieren.


Hier verließen wir Brandenburg und radelten wieder auf Berliner Gebiet weiter, vorbei an Mauerresten in Altglienicke und dem ehemaligen Grenzübergang Sonnenallee.


Der Streifen Kopfsteinpflaster und die Infotafel sind das Einzigste was an die Grenze erinnert.
Mit Blick auf die Treptower Hochhäuser  genossen wir einen Kaffee und ein Bier, welches uns eine Vereinsgaststätte über den Gartenzaun verkaufte. Danach ging es weiter durch die Stadt bis zur Oberbaumbrücke. 


Die Oberbaumbrücke ist meine Lieblingsbrücke in Berlin. In unmittelbarer Nähe befindet sich am Ufer der Spree die bekannte East Side Gallery. Dort waren wir schon oft aber diesmal fehlten die Menschenmassen. Als ich etwas später an einer Kreuzung auf meinen Lieblingsmann wartete, bemerkte ich das Straßenschild und bemerkte erstaunt, dass dort mal der Grenzübergang Heinestraße war.


Die Grenze, die einmal diese Stadt prägte, ist verschwunden als ob es nie gegeben hätte. Die Streifen auf der Straße zeigen, dass hier eine bestehende Stadt willkürlich getrennt wurde. Am Grenzübergang Heinestraße bin ich oft mit dem Kinderwagen vorbeispaziert und jetzt erkenne ich die Gegend kaum wieder. Der nächste Grenzübergang auf unserer Tour war nicht weit entfernt von der Heinestraße. In der Nähe des Checkpoints Charlie war unsere erste Wohnung. Vom Balkon sahen wir auf die Grenze und nicht nur einmal weckte uns die Grenzsirene. Diesmal fuhren wir dort, wo früher die Mauer stand und die Gegend hatte sich völlig verändert. Neu gebaute Häuser stehen im ehemaligen Grenzstreifen.

Hinter dem berühmten Grenzübergang stehen noch einige Mauerreste. Das Foto der Mauerreste ist aus meinem Archiv. Wir hatten diesmal keine Lust anzuhalten, weil das Ziel schon nah war.



Rechts vorne ist das inoffizielle Ziel unserer 3 Tagesroute zu sehen: Das Brandenburger Tor!

Das Brandenburger Tor wurde in meiner Kindheit und später als die Sehenswürdigkeit von Berlin, Hauptstadt der DDR gepriesen. Aber ich konnte es immer nur aus 200 m Entfernung sehen. Als es im Verlauf der Maueröffnung möglich wurde, durch das Brandenburger Tor zu spazieren, musste ich dort hin und es berühren. Auch heute ist es für mich immer besonders dort zu sein. 

Von dort waren es nur noch 2 km bis zum Hauptbahnhof, dem Start- und Endpunkt der Tour. 

3 Tage folgten wir dem Verlauf der ehemaligen Grenze. Wir hatten Freude am Rad fahren, genossen den Frühling, besuchten bekannte und uns unbekannte Orte meiner Stadt und im Umland. Wir lernten dazu und waren immer wieder erstaunt, wie spurlos diese Grenze verschwunden ist.
Beim Nachbereiten der Tour stellten wir fest, dass wir 2 ehemalige Grenzübergänge gleich zu Beginn der Tour von uns unbemerkt passiert hatten.
Im November 1989 wurde ich von der Öffnung der Grenze überrascht. Damals dachten wir, dass wir nun ein-und ausreisen dürfen. Das die Grenze verschwindet konnten wir uns nicht vorstellen. 
Inzwischen ist die gesamte Stadt meine Stadt.
Ich liebe mein Berlin.

13 Kommentare:

Arti hat gesagt…

Ja, es ist schon klasse, dass heute die Mauer noch noch in Resten existiert und man einfach so kreuz und quer durch die Stadt kann.
Auch Westler konnten das Brandenburger Tor nur aus der Ferne sehen. Man musste auf Podeste steigen und konnte dann den Todesstreifen mit den Spanischen Reitern sehen, die Reifenspuren der Kontrollfahrzeuge und die Mauer. Es war immer gruselig dieser Anblick.
Habe das Tor vor Jahren mal bei einer Aktion verarbeitet. https://artifactumverabilisblog.blogspot.com/2012/10/sw-fokus-auf-den-tag-der-deutschen.html

Auch der 3. Teil deiner Radtour hat mir wieder sehr gefallen und die Aktion der Japaner hat auch mich beeindruckt. Die Allee ist ein richtiger Hingucker.

Liebe Grüße
Arti

Arti hat gesagt…

das erste "noch" sollte eigentlich nur heißen, hab wohl schneller gedacht als geschrieben :)))

Anonym hat gesagt…

Liebe malesawi,
Du hast die Geschichte ganz lebendig und persönlich abgeradelt und so vieles entdeckt und "neu" gesehen. Einfach wunderschön!
Die Idee mit den Kirschbäumen ist wirklich sehr gut. Ein rundherum feines Projekt, das hoffentlich noch eine lange Zukunft hat.
Schönen Start ins Wochenende und liebe Grüße
moni

Allaboutluisa hat gesagt…

Das sieht wirklich so schön aus! Ich liebe die Natur.
Liebe Grüße
Luisa von https://www.allaboutluisa.com/

Schwabenfrau hat gesagt…

Schöne Erinnerungen für mich liebe Malesawi,
den Tränenpalast kenne ich von Erzählungen meiner Schwester und wie sie mit der S-Bahn von einem Teil in den anderen an verdunkelten Bahnhöfen vorbeigefahren ist. Manchmal versuchten noch DDR-Bürger auf die S-Bahn aufzuspringen, die gerade in diesen Bahnhöfen aus Absicht sehr langsam gefahren ist. Manche schafften es, bis dann der Bahnhof komplett zugemacht wurde.
Den Tränenpalast habe ich sogar 2012 noch besichtigt.
Ist schon eine geniale Geschichte, was Berlin so alles mitgemacht hat und vor allem das Brandenburger Tor gesehen hat.
Das Geschichte und die sollte man schon kennen.
Aber vieles vergisst man auch wieder.
Wir hatten Bekannte im Märkischen Viertel, als da gebaut wurde, gab es Zoff mit der DDR, weil die Hochhäuser sehr nah an der Grenze lagen und man in die DDR hinübersehen konnte. Wir waren damals kurz nach der Wende dort zu Besuch und sind durch eine kleine Öffnung in den Osten gegangen um dort in einem urigen Berliner Lokal eine Waldmeisterbrause zu trinken.
Manchmal war es schon schlimm, die vielen Umwege zu fahren, weil man einfach nicht durch die DDR konnte.

Ich wünsche dir einen schönen Abend und ja, mein Freund hat noch
Mauerstücke bemalt.
Die werden aufgehoben.


Liebe Grüße Eva

Schwabenfrau hat gesagt…

Ich finde, dass die Warschauer Brücke die schönste Brücke Berlins ist.

LG Eva

Jutta hat gesagt…

Liebe Malesawi,

auch Dein 3. Teil vom Mauerweg ist ganz toll. Wunderbare Bilder hast Du mitgebracht und Deine Worte dazu sind wirklich erlebte Berliner Geschichte.

Liebe Grüße
Jutta

Kirsi schreibt hat gesagt…

Wie schön auch Deine 3. Etappe wieder gewesen ist, so toll bebildert und geschrieben mit so vielen Dingen die ich gar nicht wusste. Einfach schade das es jetzt vorbei ist möchte ich (fast) sagen. Aber durch Deine Beiträge hast Du mir so richtig Lust gemacht irgendwann auch diesen Mauerweg zu fahren.
Vielen lieben Dank das Du uns mitgenommen hast, ein schönes Wochenende und ganz liebe Grüße
Kirsi

Wolfgang Nießen hat gesagt…

Liebe Malesawi,
vielen Dank für diese Einblicke in die Geschichte. Geschichte, erzählt von Zeitzeugen finde ich noch viel interessanter.
Ich bin auch einmal mit der S-Bahn gefahren, von West Berlin nach Ost Berlin und wieder zurück. Für mich war das damals richtig gespenstisch, solcher Grenzkontrollen waren mir völlig fremd.
Ich wünsche Dir einen schönen Start in die neue Woche.

Viele liebe Grüße
Wolfgang

Rostrose hat gesagt…

Nun hatte ich einiges nachzuholen, denn auch Teil 2/3 hat mir noch gefehlt. Eure Radtour entlang der Mauer war eine schöne und berührende Reise durch die Vergangenheit und die Gegenwart. Ich freue mich mit dir über die japanische Kischbaumpflanzaktion! Und staune wie du über die Willkür, mit der diese Mauer einst gezogen wurde - mitten durch Berlin und entlang eines Sees, den die Ortsbewohner plötzlich nicht mehr nützen und nicht mehr sehen durften... Ich hoffe sehr, dass so etwas für immer der Vergangenheit angehört.
Herzliche Rostrosengrüße und alles Liebe
Traude
https://rostrose.blogspot.com/2020/05/ein-ausflug-im-marz-und-ein-treffen-im.html

Rosahenne hat gesagt…

Ja, es ist eine unglaubliche Geschichte, liebe Malesawi. Dass japanische Fernsehzuschauer für die Kirschbäume Geld spendeten zeigt, dass diese Geschichte auch in fernen Ländern beeindruckt hat. Ich habe die Mauer zuvor leider nie gesehen. Und ich habe diese Kirschblütenallee noch nie gesehen. Aber vielleicht kann ich sie beim nächsten Besuch in Berlin mit auf's Programm nehmen.
Danke dir herzlich, für diese schönen Fotos und für's Mitnehmen.
Liebe Grüße
Ingrid

do hat gesagt…

Deine Berichte von eurer Fahrt der ehemaligen Grenze entlang hat mich sehr berührt. Mein Vater hätte 1988 gerne eine Städtereise nach Berlin gemacht, aber ich scheute mich davor, da ich die trennende Mauer durch die Stadt als sehr belastend empfand. So besuchten wir Budapest. Leider verstarb mein Vater ein halbes Jahr vor der Grenzöffnung. Ich bin sicher, er hätte sich sehr gefreut und hätte unsere Familie zu einer Berlinreise überreden können.
Herzlich, do

Achim hat gesagt…

Ein schöner Bericht über die ehemaligen Grenze.
Viele Grüße: Achim